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Der Heiligblutritt in Weingarten aus protestantischer Perspektive

  • Autorenbild: hds
    hds
  • 4. Juni
  • 2 Min. Lesezeit


Er steht fest, wie das Amen in der Kirche, bei Wind und Wetter: der Hellige Blutritt in Weingarten. Alljährlich frühmorgens am Freitag nach dem Himmelfahrtstag versammeln sich fast 2000 Reiter mit ihren geschniegelten Pferden (seit ein paar Jahren sind es auch Reiterinnen) vor der Basilika. Um Punkt sieben Uhr nimmt der Pfarrer von St. Martin die Heiligblutreliquie in Empfang, um sie hoch zu Ross durch die Stadt und die Flure zu tragen. Ihm und seinem Tross schließen sich Blutreitergruppen aus ganz Oberschwaben an. Der Überlieferung nach befindet sich in der Reliquie mit Jesu Blut getränkte Erde vom Kreuz auf Golgotha. Heute werden 1830 Rösser nebst ReiterInnen in Frack und Zylinder gezählt. Es herrscht Volksfeststimmung in der Stadt. Musikkapellen flankieren den Zug. An Pommes- und Würstchenbuden kann man den Hunger stillen. Später wird es ruhiger, auf den Fluren und Feldern. Vor vielen Jahren haben wir uns den Zug angeschaut, mit unserem einjährigen Sohn auf Vaters Rücken. Eine erste prägende Erfahrung von Frömmigkeit zum Start nun schon 37 Jahren währenden Arbeitens und Wohnens in Oberschwaben. Unter schattenspendenden Bäumen fanden wir am Rande des so genannten Öschweg, eher zufällig, einen idealen Standort. Der Öschweg ist der traditionelle Prozessionsweg durch die Felder. Früher, so haben wir uns erzählen lassen, ritten die Blutreiter hier überall durch freie Landschaft. Heute ist der Weg umrahmt von Industrie, dazwischen einigen Felder, auf denen der örtliche Bauer seine Galway-Rinder hält. Es duftet nach Heu. Der Sinn des Blutrittes soll die Segnung der Felder mit der Heiligblutreliquie sein, ein Brauch, der seit dem 16.Jahrhundert vor Ort stattfindet, die größte Reiterprozession Europas. Eine Aufnahme ins UNESCO-Weltkulturerbe Verzeichnis wurde nur deshalb bislang verweigert, weil nur Männer zugelassen waren. Das hat sich seit ein paar Jahren geändert, seit der Pfarrgemeinderat von St. Martin den Blutritt auch für Frauen geöffnet hat. Was tun die ReiterInnen auf ihren Pferden? Sie beten, den Rosenkranz, die Litanei, das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis. Angeleitet meist vom Ortspfarrer der in der Mitte. Gerne spreche ich das Vaterunser mit, auch das ökumenische Glaubensbekenntnis, beim Rosenkranz tue ich mich nach wie vor schwer und als es mit dem Brustton der Überzeugung lautet: „Heiliger Abraham bete für uns“ und „Heiliger Mose, bete für uns“ muss ich schmunzeln. Ob Abraham und Mose es wirklich so gut fänden, in den Heiligenstatus zu wechseln? Klingt etwas nach Übergriff und Vereinnahmung. Aber das sind Randphänomene, die ich jetzt nicht überbewerten möchte. Meine ökumenische Seele ist dabei, das spüre ich. Und die Pferde sind eine Wucht, Gottes schöne Geschöpfe. Anmutige Herzensbrecher. Schon die Betrachtung dieser herrlichen Tiere bringt Wärme ins Herz. Viele werden extra für den Blutritt gehalten, einige sind schon bald 30 Jahre alt. Es ist zu hoffen, dass sie auch zwischendurch bewegt werden. ReiterInnen sind bunt unterwegs: die Kleinsten (Minis) auf Shetlandponys und die Ältesten haben sicher die 80 überschritten. Die Rösser müssen ihre ReiterInnen vier Stunden auf ihrem Rücken tragen, bis die Reliquie wieder an ihren Platz in der Basilika wandert. Nach zwei Stunden stiller, meditativer Betrachtung schwingen wir uns in gelöster und dankbarer Stimmung auf unsere Drahtrösser. Ich ertappe mich bei dem Gedanken: ein paar Jahre jünger hätte ich mich bei einer Einladung zum Mitreiten nicht geziert.

 
 
 

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