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Wasser und Kreuzweg der Arbeit


 


Auf den ersten Blick haben beide Veranstaltungen nichts miteinander zu tun. Schaut man genauer hin, so lassen sich Berührungspunkte feststellen. Wasser und Kreuzweg der Arbeit. Beide Veranstaltungen fanden am Weltwassertag (22.3.) statt. Bei der einen war ich als Teilnehmender anwesend, bei der anderen als Beteiligter. Verbunden waren beide Veranstaltungen durch eine tiefe Spiritualität.




Das Wasser


Beginnen wir mit dem Wasser. Rund 30 Personen haben sich am Weltwassertag eingefunden, um etwas über die Versorgung mit Trinkwasser in Weingarten zu erfahren. Ein technisches Thema? Mitnichten. Wassermeister Balle bringt es in seinem Einführungsvortrag vor dem Hochbehälter Bockstall auf die einfache Formel: Wasser ist Frieden. Wer Zugang zum Wasser hat, bleibt in der Regel friedlich. Und Wassermangel heizt Konflikte an.  Ein Gefühl von Demut steigt in mir hoch, als ich unter Führung des Wassermeisters mit den anderen den modernen Hochbehälter betrete. Zunächst nur Rohre, Ventile, es rauscht und piept. Zwei riesige Edelstahlbehälter bilden das Herz des Raumes. Ca. 600000 Kubikmeter pro Jahr sprudeln hier durch. Mit dieser Menge wird die Stadt Weingarten versorgt. Entnommen wird es aus bis zu 100 Meter Tiefe aus dem Grundwasser in höheren Regionen. Auf Augenhöhe ist ein rundes Guckloch angebracht, wie in einer Schiffskabine. Ich schaue rein und bin endgültig überwältigt: blaues, reines Trinkwasser. Die Quelle allen Lebens. Einen zweiten Blick in das köstliche Nassd gibt der Wassermeister über eine Luke von oben frei (Bild) . Alles still. Nur ganz sanfte Bewegungen im Inneren. Natürlich bewundere ich die Technik, das Knowhow der Menschen, die hier arbeiten. Aber noch mehr bewundere ich die Tatsache, dass reines Wasser die reine Grundsubstanz unseres Menschseins bildet und dass wir selbstverständlich Zugang haben. Der Spruch aus Psalm 36 begleitet mich: "Denn bei dir ist die Quelle des Lebens ...." Umso mehr stimmt es mich nachdenklich, wenn verschwenderisch mit diesem kostbaren Gut umgegangen wird.




Kreuzweg der Arbeit


Im wahrsten Sinne erfüllt schwinge ich mich auf mein Fahrrad und fahre zum nächsten Treffen an diesem Tag: Kreuzweg der Arbeit. Ein Bekannter hat mich angesprochen, ob ich nicht mitmachen und eine Station übernehmen möchte. Organisator dieser Veranstaltung ist die Katholische Arbeitnehmerbewegung. Wir treffen uns vor der katholischen Kirche Liebfrauen. Kreuzweg der Arbeit: Ein großes Holzkreuz wird wie bei einer Prozession durch die Stadt getragen und an verschiedenen Orten gibt es Lesungen, Gebete, Lieder. Etwa 50 Personen nehmen teil. Aufgegriffen werden Themen der Arbeit, Probleme der Gesellschaft, Missstände im Arbeitsleben. Alles hochpolitisch. Da ich im Ravensburger Stadtrat mitarbeite, wurde ich zum Thema Demokratie angefragt. Ort meiner Station ist das historische Rathaus. Dort angekommen versuche ich zu erläutern, was mir Sorge macht: Das Aushebeln demokratischer Prozesse rechter Kreise, die Phantasien von Remigration, die die Menschen mit Migrationsgeschichte verunsichern usw. Voller Überzeugung stimme ein Loblied auf die Demokratie an und zitiere den Leitspruch der Menschen, die sich mit christlicher Motivation in der Demokratie engagieren: „Suchet der Stadt Bestes“. Unter den Klängen des Saxophons ziehen wir weiter. Insgesamt sechs Stationen und ein liturgischer Abschluss in der St. Jodokkirche bilden einen spirituellen Rahmen dieser ungewöhnlichen Präsenz in unserer Stadt. Ich beobachte die Menschen in der Fußgängerzone, die zum Teil irritiert reagieren. Manche bleiben stehen, andere machen Scherze. Meine Beobachtung: In einer so gesammelten Atmosphäre fallen einem die Reaktionen Nichtbeteiligter noch intensiver auf. Die meisten ließen sich durch die Allgegenwart ihrer Handys nicht aus der Ruhe bringen. Das Kreuz im öffentlichen Raum, nicht in der Kirche ist im Grunde provozierend, durchbricht das Gewohnte. Die Menschen lassen sich in ihrem Ablauf aber dadurch keineswegs stören. Das überraschende Moment, so habe ich es empfunden, war das jeweilige ziemlich lautstarke Versenken eines Nagels in das Holz des Kreuzes. Dieser Sound dringt durch, auch in der lauten Stadt.  

 

Wasser und Kreuzweg


Zwei komplementäre Erfahrungen an einem gewöhnlichen Freitagnachmittag in einer gewöhnlichen Stadt. Das Wasser, dienend in seiner tiefen Stille, ist einfach nur präsent, um uns zu nähren. Selbstlos und von freundlicher Ästhetik. Das Kreuz in der Stadt ist eher provozierend, alles andere als selbstverständlich und sicher nicht ästhetisch. Trotzdem, meine tiefe Empfindung: wir brauchen beides: Wasser und Kreuz. Stille Genügsamkeit und lauter Protest. In beiden Dimensionen können sich spirituelle Erfahrungen verdichten. Als Beiträge für spirituelles Wachstum jenseits von Konsum.

 

Mein Text am Rathaus:


Das Kreuz. Zeichen für die Passion Jesu. Zentrales Zeichen christlicher Existenz inmitten einer Welt der Wunden. Das Kreuz. Stellvertretendes Zeichen auch für das Leiden in der Welt. Sowohl für das große Leiden an Kriegen und Terrorismus als auch für das namenlose, vergessene, stille Leiden unzähliger Betroffener. Leiden an der Verbohrtheit der Unterdrücker und an der toxischen Machtfülle der Diktatoren. Leiden an der Vergeblichkeit unserer Bemühungen um eine bessere Gesellschaft. Das Kreuz. Es fordert uns heraus, sich diesem Leiden zu stellen. Es fordert uns heraus zum Widerstand gegen die offenen Wunden. Es fordert uns heraus, diese Welt heilend nach Kräften mitzugestalten. Demokratie ist eine Form, dieser Welt ein Gesicht zu geben – in aller Vorläufigkeit, jenseits von Kreuz und Leid.

 

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