Vor lauter Schuld … so lautete der Titel einer Tagung, die vom 10.-12.Mai 2023 in Frankfurt am Main stattfand. Es luden ein der Zentralrat der Juden in Deutschland und die Evangelische Akademie zu Berlin. Thematisiert wurden Schuldverstrickungen im gegenwärtigen Erinnerungsdiskurs. Klingt schwierig, war es auch. Denn erinnern an die Gräuel der Nazizeit ist immer mit einer Schwere verbunden. Aber der Tenor der Veranstaltung lautete nicht die fortlaufenden Schuldverstrickungen aktualisieren, sondern in eine Verantwortungsbeziehung treten. Ziel müsse es sein, einen Glauben zu entdecken, der ohne Schuldprojektionen auskommt. So drückte es der Mitorganisator Christian Staffa, Antisemitismusbeauftragte der EKD aus. Und der Frankfurter Rabbiner Julien Soussan sagte es so: Die Freude ist im Judentum viel wichtiger als die Schuld. Schuld sei eine positive Energie, ein „Motivator, positive Energie zu entwickeln“, Katharina von Kellenbach stellte das Projekt antisemitismuskritische Bibelarbeit der Evangelischen Akademie zu Berlin vor. Biblische Bilder werden dabei einem kritischen Blick auf antisemitische Inhalte unterzogen. Allerdings, so räumt sie ein, habe ein nachhaltiger Schuldbearbeitungsprozess in den Kirchen erst begonnen. Kurt Grünberg, Psychoanalytiker am Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt hat sich mit der Psychoanalyse des Nazi-Faschismus befasst und arbeitet mit traumatisierten Überlebenden des Holocaust. Sein Vater war der einzige Überlebende des Holocaust. Er glaubte nicht an Gott, legte aber jeden Tag seine Gebetsriemen an. Zeit seines Lebens schwieg er von dem, was erlebt hat. Kurz vor seinem Tod vertraute Vater Grünberg seinem Sohn dann doch seine Überlebensgeschichte an. Als die Nazis die letzten KZ-Inhaftierten in den sogenannten Todesmarsch trieben, war auch der Vater dabei. Von bewaffneten Nazis angetrieben, nahmen er und ein weiterer Gefangener einen völlig Geschwächten in die Mitte und zogen ihn mit. Denn sie wussten, wenn er fällt, bedeutet das den sicheren Tod. Am Ende der Kraft angelangt, ließen sie schließlich den Entkräfteten fallen. Der Schuss erfolgte sofort. Ein paar Minuten später wurden die Todgeweihten von herannahenden Truppen befreit. Die letzten Worte des sterbenden Vaters an den Sohn lauteten: „Pass auf die kleine Schwester auf!“ Für mich klang diese emotional den ganzen Saal berührende Geschichte wie ein Appell: Pass auf, wenn etwas aus dem Ruder läuft und Minderheiten ausgegrenzt werden. Pass auf, dass wir uns hartnäckig wehren, wenn alte Vorurteilsmuster gegenüber jüdischen Menschen munter weitererzählt werden. Wir müssen permanent unsere eigene protestantischen Grundfeste auf ihre antisemitischen Anteile befragen, vor allem die Heilige Schrift. Fazit: Es geht im Schulddiskurs nicht um ein Wandeln in Sack und Asche. Das viel beschworene „Nie wieder!“ reicht nicht. Eine Verantwortungsbeziehung tut Not. Dafür habe ich bei dieser hoffnungsvollen Tagung manche Ansätze gespürt.
Katharina von Kellenbach führt an einem drastischen Beispiel vor, mit welch perfiden Klischees die nationalsozialistische Propaganda und vor allem das Hetzblatt "Der Stürmer" manipulierte.
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