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Träume als Überlebenskraft


Ingrid Riedel, Träume zum Zeitgeschehen


Wenn sie aus ihren Manuskripten vorliest, klingt Ihre Stimme klar und deutlich. Wenn sie erzählt, dann breitet sie in gestochen scharfen Sätzen und in einer floskelfreien Sprache ihren ganzen Erfahrungsschatz aus. Hier tritt eine weise Frau zutage, mit tiefen Gesichtsfurchen und grauem Haar, das sie offen trägt, 88 Jahre alt, mental jung geblieben, scharfsinnig im Geist. Rund 50 Menschen haben sich an einem kalten, regnerischen Novembertag versammelt, um ihr zuzuhören: Ingrid Riedel, die Grande Dame der Jungschen Tiefenpsychologie. Lehranalytikerin, Psychotherapeutin, Kunsttherapeutin, Theologin und Autorin zahlreicher Bücher. Eingeladen zu diesem denkwürdigen Abend hat der Ravensburger Verein Gemeinde - Psychiatrie - Kultur.


„Durch unsere Träume haben wir die Möglichkeit, das Ganze in einem tieferen Zusammenhang zu sehen“. Diesen Satz stellt sie an den Anfang ihrer Ausführungen. Was steckt in den Träumen? Ein Wissen um Geschichte, schwere Erinnerungen, Erinnerungen an Lösungen, die im Inneren aufsteigen. In unseren Träumen stecken persönliche und gemeinsame Erfahrungen.  In die tieferen gemeinsamen Erfahrungen eindringen, das kann zur Lösung helfen.


Bsp. Traum eines Lehrers, dessen Klasse sich während des Terroraktes der Hamas im israelischen Austausch real in Israel befindet. Alle wollen im Traum den Familien beistehen, helfen, auf der Seite Israels mitkämpfen. Im Traum ruft der Lehrer alle Schüler zusammen, um sich auszutauschen und das Erlebte zu verarbeiten. Real kamen alle Schüler wieder wohlbehalten zurück. Der Traum habe ihm geholfen, die Situation zu verarbeiten und zu bestehen, sagt der Lehrer. Der Traum habe ihm die Angst genommen, weil er zu einer Lösung führte.

Nicht immer kommt es zu dieser rettenden Perspektive. Abe Träume sind Türöffner für unterbewusste Schichten. Denn wir träumen von dem, was wir eigentlich vermeiden wollen. Wir träumen von dem, was wir im Alltagsbewusstsein im Hintergrund halten. Mit unseren Träumen taucht ins persönliche und kollektive Unbewusste ein. Es geschieht ein Auspendeln zwischen der Außenwelt und der Innenwelt. Träume verwenden Bilder, um auszusprechen, was uns Angst gemacht hat. Träume liefern visionäre Impulse aus der Geschichte der Menschheit zur Heilung. Im Traum geht es um das Ganze des Lebens. Denn wir alle haben ein Überlebenstrieb und eine Überlebensgedächtnis. Aus der Menschheitsgeschichte, die sich auch in unseren Träumen manifestiert, kommt eine rettende Perspektive.


Bsp. „Umwelt“-Traum vor 30 Jahren: „Die wilde Anna“. Es handelt sich um eine „gepanzerte“ riesige schwarze Frauengestalt, die während einer Tiefenbohrung in der Nordsee aus der Tiefe des Meeres auftaucht und eine gewaltige Flutwelle auslöst. Sie trägt eine Schale mit Wein in den Händen. Die Beteiligten umwandern diese Schale und die Flutwelle zieht sich wieder zurück.

Das Überlebensgedächtnis der Menschheit bringt solche Bilder hervor. „Die wilde Anna“ erinnert an die Freiheitskämpferin Jeanne d´Arc. Neuere Forschung der Neurowissenschaft schenkt der „Ehrfurcht“ neue Beachtung. Sie wird als „Überlebenskraft“ erforscht. Schale mit Wein ist Symbol der Freude und gleichzeitig sakrales Element und erinnert an den Gral. Die neue Zeit (der Versöhnung mit der Natur) steht im Zeichen der offenen Schale, Symbol für mütterliche Kraft. Die Heilige Schale verweist auf die Gaben der Erde. Die Umwanderung von Schale und Wein ist ein heiliger Akt. Die Erde beruhigt sich und nimmt die wilde Anna wieder auf. Anna – Lange Anna Helgoland, oder die Schutzpatronin der Johanna von Orléans. Letztlich finden wir in dem Traum archetypische Bilder, die in der Träumerin real ein Engagement in der Umweltbewegung auslöst. In der “wilden Anna“ tritt eine mütterliche Gestalt zutage, die sagt: „Jetzt reichts!“


Träume sind mehr als nur persönliche Fantasie. Oft tritt in den Träumen zutage, was in der Menschheitsgeschichte bereits erlebt wurde und zur Heilung führte. Es geht darum, die Ehrfurcht vor dem Leben wieder zu wecken. Denn Überlebenskraft steckt in uns allen. Die kämpft bis zuletzt in uns. Die Ehrfurcht ist unser Heiligstes. Sie ist eine wunderbare Kraft. Je älter sie wird, desto mehr nimmt sie davon wahr.  „Wir haben uns nicht selber gemacht. Da ist etwas hinter uns, das uns trägt.“


Alles in allem war das ein sehr ermutigender, hoffnungsvoller Abend und eine Ermunterung, den Träumen mehr Beachtung zu schenken. Sie sind keinesfalls nur persönliche Fantasie. In ihnen steckt persönliche und globale Überlebenskraft, weil sie an dass Überlebensgedächtnis der Menschheit anknüpfen. Auch die Ehrfurcht vor allem Leben kann durch Träume geweckt werden. Sie ist, so haben es Neurowissenschaftler erforscht, eine wesentliche Überlebenskraft für die Menschheit.

 

 

 

 

 


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