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Philosophie der Gegenwart (3)


Heute, am 11.3.2021, ist der letzte Tag unseres virtuellen Kurses "Philosophie der Gegenwart". Ab morgen gibt es eine kleine Bilanz. Erleuchtet bin ich schon mal :-) ....

Geht Online-Philosophie als Zoom-Sitzung überhaupt? Lebt Philosophie nicht vom Diskurs, von den kleinen Fach-Diskussionen am Rande, vom Abwägen und Bewerten, von den "Kamingesprächen" bei einem gepflegten Glas Wein? Meine Antwort: Ja, es geht, allerdings mit Einschränkungen. Die tägliche Konfrontation mit Denkbewegungen verschiedenster Art waren herausfordernd. Unterbrochen von vorbereitenden und vertiefenden Lektüreeinheiten tasteten wir uns an Grundthemen der Philosophie heran und fragten uns nach der jeweiligen Relevanz für die Theologie.

Begonnen hat das Ganze mit einer Verhältnisbestimmung von "Denken und Glauben". Von Michael Kühnlein wurden hervorragend in die Moraltheorie und Religionsphilosophie von Charles M. Taylor eingeführt. Seine transzendenzaffine Argumentation und seine positive Freiheitskonzeption erweisen sich als überaus anschlussfähig an die Theologie. In biblischen Beispiele wie "Der barmherzige Samariter" und "Agapefeier" sieht er die Fähigkeit der Barmherzigkeit aufleuchten. Religion als spirituelle Option ermöglicht es, das Ausdruckshandeln der Mensschen zu intensivieren.

Nach diesem starken Aufschlag folgte unter dem Thema "Wirklichkeit" ein Parforce-Ritt durch den Realismus-Diskurs. Vorgestellt wurde uns von Malte Dominik Krüger der "iconic turn" in der modernen Philosophie. Der iconic turn geht davon aus, dass die Einbildungskraft gegenüber der Vernunft, der Sprache und dem Sein zu kurz gekommen ist und wieder neu entdeckt werden muss. Ohne Gefühl und Bildvermögen sind Sprache und Vernunft nicht möglich. Gott ist eine Dimension in meiner Einbildungskraft, die sich immer entzieht. Krüger spricht hier von einer "geheimnisvollen Unschärfe des Lebens."

Ein Highlight des Kurses war ohne Zweifel Volker Gerhardt. Frisch, hoch konzentriert und denkerisch schwungvoll modern präsentierte sich der 77-jährige Philosoph, ehemaliges Mitglied im Nationalen Ethikrat. Zum Tagesthema "Humanität" stellte er Inhalte seines Buches vor: Humanität. Über den Geist der Menschheit. Hier überwindet Gerhardt die traditionelle Geringschätzung der Tiere und entfaltet ein radikal neues Verständnis der Beziehung von Natur und Kultur. Gerhardt beschreibt Gott als ein "geistiges Ganzes", von dem wir Trost und Antwort erfahren, das von uns wesentlich durch Unendlichkeit unterschieden ist, sich aber durch Offenbarung erschließt und uns existenziell berührt.

Erstes Thema in der zweiten Woche war "Willensfreiheit und Verantwortung" aus ungewöhnlicher Perspektive der Neurophilosophie bzw. experimentellen Philosophie. Für mich war diese der thematisch schwierigste und am wenigsten durchdringbare Part des Kurses. Die ethische und philosophische Mitgestaltung neurowissenschaftlicher Prozesse stellt eine Herausforderung an die interdisziplinären Diskurse der schier endlos sich weiterentwickelnden Neurowissenschaften dar. "Wir sind auf schwankendem Boden", so das Fazit des Referenten Michael von Grundherr. Ein in der Tat offenes Buch und die Fragestellung, wie wir als Theolog*innen und Philosoph*innen

die Wissenschaft mitgestalten sollen, bleibt herausfordernd.

Weiter ging es um "Ästhetik" mit der Dozentin für Bildwissenschaften Angela Opel. Neben einer grundlegenden Einführung in das Thema "Was ist Kunst?" und der für mich sehr eindrücklichen Definition "Kunst ist die Aneignung der Welt mit allen Daseinskräften" führte uns die Dozentin durch sehr verschiedene Kunstbeispiele aus unterschiedlichen Genres und Jahrhunderten, um deutlich zu machen, dass wir die Dinge immer durch die Brille unserer individuellen Erkenntnis, Wahrnehmung und Intgerpretation sehen.

Das Thema "Fremdheitsfähigkeit" aus Sicht der Phänomenologie hat uns Barbara Schellhammer, Professorin an der Münchener Hochschule für Philosophie, nahegebracht. Grundlage ihre Vortrages war ein Kapitel eines Buches des Phänomenologen Bernhard Waldenfels "Topographie des Fremden", das mich sehr beeindruckt hat. Spätestens jetzt bin ich in meinem Arbeitsfeld Psychiatrieseelsorge angekommen. Wir können das Fremde so fassen, dass wir es nicht vereinnahmen. Es zeigt sich etwas, indem es sich mir entzieht (B. Waldenfels). So habe ich es tausendmal in der Psychiatrie erlebt.

"Lebenskunst" als philosophische Praxis stellte uns eine praktizierende Philosophin vor und zum Schluss gab es noch ein Kapitel "Digitalität und das gute Leben" von unserer Studienleiterin Christina Costanza, die den Kurs souverän leitete. Eine digitale Agapefeier, an der sich alle 21 Teilnehmende aus dem ganzen Bundesgebiet beteiligten, sei es durch Rezitation, Musik oder Gebet, sorgte für einen festlichen Abschluss.


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