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Perspektivwechsel


Es tut gut, hin und wieder die Perspektiven zu wechseln. Es irritiert aber auch. Warum? Weil wir durch einen Wechsel unserer Perspektive eine Änderung der Sichtweisen vornehmen, die uns seither geprägt haben. Seit 34 Jahren leben wir in Oberschwaben, und von Anbeginn fasziniert uns der Blick auf die Schweizer und Österreicher Berge. Zum Greifen nahe scheinen uns bei Föhnwetter und aus entsprechender Position die Ravensburger „Hausberge“, der Säntis und der Altmann. Die Sicht auf die Alpenriesen ist uns mehr als vertraut. Es schafft ein Gefühl von grenzüberschreitender Weite. Neulich unternahmen wir einen Tripp in die Schweiz, auf die andere Seite des Sees. Ein Aussichtspunkt in der Nähe von St. Gallen (Eggersriet, Appenzellerland) gibt eine atemberaubende Sicht auf den Bodensee frei, und das über fünf Regionen (Baden, Württemberg, Bayern, Vorarlberg und natürlich auf die Schweiz). Auf der deutschen Seite des Bodensees erscheint die Landschaft heute wenig faszinierend. Nebelgrau, wolkenverhangen kann man markante Punkte erahnen: das Meersburger Schloss, der Flughafen in Friedrichshafen, der Pfänderrücken mit seiner markanten Antenne. Ameisenklein kreuzen die Fähren zwischen Romanshorn und Friedrichshafen bzw. Meersburg und Konstanz, heute die einzigen Schiffe, die auf dem Bodensee unterwegs sind. Etwas ernüchternd, aber auch heilsam ist ein solcher Wechsel der Perspektive.



Ich spinne den Gedanken weiter.

Lasst uns öfters die andere Seite betrachten! Lasst uns Themen multiperspektivisch angehen! Lasst uns versuchen, die andere Seite in unser Denken einzubeziehen! Ich glaube, das hilft gegen Sturheit und gegen die Behauptung, nur meine Betrachtungsweise sei die richtige. Im Denken hin und her wandern zu können, das setzt voraus, nicht auf meiner eigenen Sichtweise beharren zu müssen, sondern von anderen zu lernen.


Beim beschriebenen Beispiel scheint die Übung noch harmlos, aber wirksam.

Schwierig wird es, wenn es um konfliktträchtige Themen geht. Da wird der Wechsel der Perspektiven zu einer Übung, die ein Höchstmaß an Flexibilität abverlangt. Ehrlich gesagt: der Perspektivwechsel auf die Seite Putins im Krieg gegen die Ukraine kann ich nicht vollbringen. Zu viele völkerrechtswidrige Verbrechen an den Ukrainerinnen und Ukrainern sind bereits geschehen, als dass ich irgendwelchen russischen Beweggründen in Form eines Perspektivwechsels Vertrauen schenken könnte. Der Angriff der russischen Diktatur auf die Ukraine ist ein Verbrechen und muss als solches benannt werden. Ganz zu schweigen von der Orthodoxen Kirche, die sich Putin und seinem verbrecherischen Treiben förmlich anbiedert und ein toxisches System trägt. Wo bleibt das kritische Potential der Theologie? Ich möchte darüber nicht urteilen, aber im Blick auf die deutsche Geschichte klingeln bei mir sämtliche Alarmglocken.


Einfacher kann ein Perspektivwechsel im Blick auf den Klimawandel zu gelingen. Wenn ich mir vornehme, die Seite der stummen Kreatur einzunehmen und zu vertreten, dann spüre ich eine Veränderung in meinem Denken, die sich immer tiefer bahnt. Das Denken allein führt noch nicht zur Umkehr. Notwendig ist vielmehr ein empathisches Denken, von Mitgefühl flankiertes Durchdenken verschiedener Aspekte. Nur wenn sich zur Vernunft die Empathie gesellt, kann eine ganzheitliche Bewusstseinsbildung erfolgen. Es geht um die Lebensgrundlagen, den bewussteren Umgang mit unseren Ressourcen. Perspektivwechsel ist Überlebensmodus.


Perspektivwechsel über den See und wieder zurück. Das war mein Ausgangspunkt. Veränderung der Sichtweise. Ich verlasse den Fünfländerblick und finde mich auf der anderen, der gewohnten Seite. Nicht ohne das Fremde, Irritierende als einen wertvollen Beitrag einer Weitung meiner Empfindung und Sichtweise zu spüren. Ein Wechsel der Perspektive, so meine Erfahrung, engt keinesfalls ein, sondern macht weit.

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