Heilsame Bilder, Musik und Texte
Eine Betrachtung von Pfr. Dr. Hans-Dieter Schäfer zum Sonntag Miserikordias Domini, dem Sonntag des Guten Hirten (26.4.2020)
Evangelisches Krankenhauspfarramt ZfP Südwürttemberg/Weissenau
Evangelische Kirchengemeinde Ravensburg-Eschach
1.Heilsame Bilder: Mausoleum der Galla Placidia (Ravenna)
Der äußerlich unscheinbare Kirchenbau Mausoleum der Galla Placidia wurde von der 450 verstorbenen Kaiserin Galla Placidia, der Tochter von Kaiser Theodosius dem Großen zu ihren Lebzeiten veranlasst und vollendet. Aller Wahrscheinlichkeit wurde sie aber dort nicht begraben. Die kleine Kirche wurde dem Hl. Laurentius gewidmet.
Das Mosaik auf dem Bild nimmt Bezug auf die biblische Aussage vom "Guten Hirten". Die Wandmosaiken im Inneren sind ausgezeichnet erhalten und stellen die ältesten Mosaiken Ravennas dar. Mit den anderen byzantinischen Bauten in Ravenna gehört das Mausoleum der Galla Placidia seit 1996 zum UNESCO-Welterbe. Zu sehen ist ein jugendlicher Jesus, der als guter Hirte seine Schafe weidet und eines liebevoll streichelt. Er hält gleichzeitig ein goldenes Kreuz, als Zeichen der Hoffnung und Symbol für die Überwindung des Todes. Das Kreuz hält er als „thronender Imperator“ wie ein Zepter; sein Pallium ist purpurn, was die Farbe der Kaiser war. Der frühchristliche Künstler knüpfte an die bekannten römisch-antiken Themen an, und deutete sie um. Hier hat er sich wohl an antiken Darstellungen orientiert. Lediglich der Heiligenkranz und das goldene Gewand sind als christlicher Hinweis neu. Der Hirte als die Mitte der Existenz, Gold eingehüllt, mit dem Attribut des Kreuzes und dem Heiligenkranz, welches ihn als Imperator kennzeichnet. Mit diesem Bekenntnis ist natürlich auch eine Kritik an weltlicher Herrschaft ausgedrückt: Dieser durch und durch sanftmütige und liebevolle Christus ist das Gegenbild der Despoten, mit welchem die jungen Christ*innen in verletzlicher und ausgrenzender Weise konfrontiert waren.
2.Heilsame Musik: Schafe können sicher weiden (aus der Jagdkantate von Johann Sebastian Bach BWV 208)
Ursprünglich als festliche Tafelmusik für den 31. Geburtstag Herzogs Christian von Sachsen-Weißenfels komponiert, hat die Bach-Arie „Schafe können sicher weiden“ eine große Verbreitung erfahren. Für den amerikanischen Pianisten Leon Fleisher ist diese Musik "wie ein Mantra, ein Klangkörper mit einer großen spirituellen Kraft. Eine Art Antwort und Gegengift zu unserer Zeit“. Als junger Mann verlor er die Beweglichkeit seiner rechten Hand. Das Klavierspiel konnte er erst wieder nach Jahrzehnten ohne Einschränkung ausüben. Diese Musik hat ihn bei seinem Heilungsprozess begleitet. Leider kann ich die Musik nicht auf Papier bannen. Sie können die Einspielung von Leon Fleisher auf meiner Homepage hören: www.hansdieterschaefer.com.
SOPRAN Schafe können sicher weiden, Wo ein guter Hirte wacht. Wo Regenten wohl regieren, Kann man Ruh und Friede spüren Und was Länder glücklich macht.
(J.S.Bach, Die kompletten Werke, Was mir behagt, das ist die muntre Jagd, BWV 208, Hänssler Classic 2000, distributed by: B.M.S. Bohemian Music Service s.r.o. EAN 8 590646 41882 3)
3.Heilsame Texte: Der 23.Psalm
Der gute Hirte
1 Ein Psalm Davids. Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. 2 Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. 3 Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. 4 Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. 5 Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. 6 Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.
Warum entfaltet dieser Psalm nach wie vor seine Kraft? Weil er uns Bilder vor Augen stellt und damit unsere Phantasie anregt, selbst an den Bildern weiter zu malen. Sie für uns zu gestalten. Selbst Menschen, die mit dem Glauben nicht viel anfangen können, gelingt es kaum, sich den Bildern zu entziehen. Wann habe ich mal erlebt, dass ich gehalten, getragen bin? Der Psalm ist aus der Perspektive eines Schafes geschrieben. Das Schaf lobt die Geborgenheit und die Wohlgefühle, die sein Hirte ihm bietet, es fürchtet kein Unglück, weil "Stecken und Stab" es trösten. Die Übertragung ist einfach: Der oder die Gläubige schlüpft in die Rolle eines Schafes, Gott wird zum Hirten. Diese Identifikation mit dem Schaf, das seinem Hirten kritiklos hinterhereilt, hat an dieser Stelle auch seine Grenzen. Mangelnde Individualität wurde uns Christ*innen immer wieder vorgeworfen. Ihr delegiert doch eure Probleme an eine Instanz, um euch nicht selbst darum kümmern zu müssen, heißt es. Da ist sicher etwas dran. Ich verstehe Gott nicht als eine Instanz, die uns das das Leben abnimmt. Ich verstehe Gott als eine Kraft, die unsere Ressourcen wachruft. Zum Beispiel die Kraft der Urbilder. Wir brauchen sie alle. Sie tun gut. Grüne Auen, frisches Wasser, ein Tisch mit Köstlichkeiten, genügend zum Trinken. Für alle Sinne ist gesorgt. Zu schön, zu idyllisch, um wahr zu sein? Nicht ganz. Im Psalm zwar etwas versteckt, aber doch ganz real ist auch von einem dunklen Tal die Rede: „und ob ich schon wanderte im finstern Tal …“. Genauso wie wir uns in den positiven Bildern wiederfinden können, so sind uns die dunklen Täler nicht unbekannt, vielleicht öfters als uns lieb ist in diesen Tagen. Im Neuen Testament identifiziert sich Jesus mit diesem vertrauensstiftenden, sanften Regenten gleich zweimal. In Joh 10,11 heißt es: „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“ Und kurz darauf in Joh 10,14: „Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich.“ In einem Gleichnis erzählt Jesus von einem Hirten, der jedes Schaf bei seinem Namen ruft. Nicht in das Kollektiv der Namenlosen sind wir verbannt, wir sind höchst individuelle Wesen, die immer auch auf andere bezogen sind.
4.Herdenimmunität?
Das Wort „Herdenimmunität“ mag virologisch ein terminus technicus sein. Aber er passt gar nicht zu uns Menschen, zu unserer demokratischen Gesellschaft, zu unserem Zusammenleben und zur solidarischen Nächstenliebe. Ich halte es für zynisch, diesen Begriff auf Menschen anzuwenden. Der Theologe Florian Höhne spricht mir aus dem Herzen, wenn er in zeitzeichen.net vom 1.4.2020 schreibt: „Sprache hat immer eine große Macht. In Krisenzeiten wird dies besonders deutlich. Sprache hat einerseits das Potential aufzubauen, Horizonte zu eröffnen, zusammenzubringen. Und andererseits ist sie gefährlich.“ Und später: „Herdenimmunität“ ist zunächst ein Fachbegriff, der in epidemiologischen Diskursen seinen Ort hat. In den letzten Wochen hat dieses Wort den Fachdiskurs verlassen und ist ein mächtiges Schlagwort in der öffentlichen Diskussion geworden. In diesen öffentlichen Diskursen fängt dieses Wort an für uns zu dichten und zu denken – und das ist nicht gut. Menschen leben nicht in Herden. Menschen leben in Gesellschaften zusammen. Manche Tierarten leben in Herden. Solange wir nicht allen Herdentieren sämtliche Menschenrechte nun als Herdentierrechte zuerkennen – und es gibt gute Gründe dagegen –, sollten wir von Menschen nicht reden als seien sie Tiere. Denn von Tierseuchen betroffene Bestände können auch schnell gekeult werden.“ Das mag etwas überspitzt formuliert worden sein, aber es trifft den Kern der Sache. Aus Worten werden Taten. Wir müssen schon sehr aufpassen, dass sich sprachlich nicht etwas verselbstständigt, was wir nicht mehr einfangen können.
5.Glaube als Ressource
Und ein letzter, mir wichtiger Gedanke möchte ich nachschieben: Das Hirtenbild suggeriert mir nicht, dass ich mich als etwas Besseres fühle als andere. Es zeigt mir aber, dass ich mich in meinem Menschsein mit allen anderen Menschen zusammen als etwas Besonderes, Herausgerufenes fühlen darf. Glaube heißt ja nicht, dass ich mich als etwas Besseres fühle (und dadurch vielleicht auf andere herunterschaue), sondern dass ich aus dem Vertrauen in Gott Kraft für mein Leben schöpfe. Wenn ich den Hirten (Hirtinnen gab es auch, werden aber damals leider nicht erwähnt) in meiner Nähe spüre, dann darf ich mich gut fühlen, auch wenn alles in meinem Leben im Moment dagegenspricht. Es lässt sich nicht beschreiben, warum das für den einen stärker oder weniger stark nachfühlbar oder auch überhaupt nicht erfahrbar ist. Die Menschen sind hier sehr unterschiedlich religiös musikalisch. Das Hirtenbild ist und bleibt (auch ohne unser Zutun) das Urbild eines Grundvertrauens und da durch das Bild einer Ressource, das Sanftmut ausstrahlt und in das über viele Zeiten hinweg Menschen ihr Leben hineingeschrieben, hineingemalt und auch hineingeschrien haben. Und wenn ich das Vertrauen aufbringen und es mir in bestimmten Zeiten gelingt, es mit meinem inneren Erleben zu ergänzen, um die Kraft dieses Bildes als Wohltat für die Seele zu erfahren, dann ist das nicht mein Verdienst.
Gebet
Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn,
der Himmel und Erde gemacht hat
und nicht fahren lässt das Werk seiner Hände.
Psalm 124,8; 138,8
In diesen Tagen scheint es,
als gerate die Welt immer mehr aus den Fugen:
Bilder von leergeräumten Regalen in Supermärkten,
von Menschen in Schutzanzügen,
von isolierten Dörfern und Städten machen die Runde.
Ein Virus macht sich breit und mit ihm die Angst.
Gott
Wir bitten dich für alle, die infiziert sind
und unter Quarantäne stehen:
Hilf ihnen, Ruhe zu bewahren und die Zeit durchzustehen.
Wir bitten dich für alle, die am Corona-Virus erkrankt sind
und um ihr Leben kämpfen:
Sei bei ihnen – was immer auch geschehe.
Wir bitten dich für alle, die liebe Menschen
durch das Corona-Virus verloren haben:
Sei mit ihnen in ihrem Schmerz und ihrer Trauer.
Wir bitten dich für das medizinische Personal:
Gib ihnen Kraft und Ausdauer für ihren Einsatz.
Wir bitten dich für alle, die das Virus mit Hochdruck erforschen
und nach Medikamenten und Impfstoffen suchen:
Lass ihre Arbeit von Erfolg gekrönt sein.
Wir bitten dich für die Verantwortlichen
in der Politik und in den Krisenstäben:
Schenke ihnen Besonnenheit und Weitsicht,
aber auch Verständnis für die Ängste und Sorgen der Menschen.
Und wir bitten dich für uns:
Hilf uns, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Schenke uns Gelassenheit.
Und lass uns darauf vertrauen, dass du –
Schöpfer(in) von Himmel und Erde –
nicht zugrunde gehen lässt, was du erschaffen hast. AMEN
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