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Die Welt ist mir ein Lachen ...

Autorenbild: hdshds


 

Heute ist Aschermittwoch. Thema des Tages: Nachdenken über die Vergänglichkeit. Gestern noch Helau, Alaaf, Narri, Narro. Und heute: alles Schnee von gestern. Eine Prunksitzung am Aschermittwoch – absurde Vorstellung. Meine Frage: kann man etwas von der Ausgelassenheit und Humor, vom unbeschwerten Verhohnepipeln der Mächtigen, von der Umwertung aller irdischen Verhältnisse, hinüberretten in den Alltag, nach Karneval und Fastnacht?


Ich lese zurzeit ein Buch, das auf den ersten Augenschein nichts Humorvolles bereitet. Dunkelblaues Cover, Stacheldraht. Titel: Zweitausend Tage Dachau. Auf der Rückseite ist der Autor abgebildet: ein schmächtiger Mann. Karl Adolf Groß. Über einer kurzen Zusammenfassung die Überschrift: Die Geschichte eines großen Unbekannten des Widerstandes. Seines Zeichens Pfarrer und Verleger.


Wie komme ich auf dieses Buch?


Über sechs Jahre meines Pfarrerlebens (1988-1994) verbrachte ich eine wertvolle Zeit in Wälde-Winterbach, mitten in der oberschwäbischen Diaspora. Meine Familie wuchs auf vier Kinder an. Intensiv widmeten wir uns der Gemeinde. Die Renovierung der Kirche fiel in diese Zeit, das 100-jährige Kirchenjubiläum und manches andere. Ich vertiefte mich damals in die Geschichte der Gemeinde und wühlte in den Archiven.



Pfarrer Groß in Wälde-Winterbach lässt etwas von seinem poetischen Gespür und seinem tiefgründigen Humor aufblitzen

(Quelle: Festschrift 100 Jahre Ev. Kirchengemeinde Wälde-Winterbach)


In meinen Recherchen für eine kleine Festschrift stieß ich  auf den Namen Pfarrer Groß. Mit seinem frischen Auftreten und seiner poetischen Begabung sorgte er für eine Blüte der Jugendarbeit. Seine Sprache war durch und durch humorvoll mit spürbarem Bekennermut in einer Zeit des heraufkommenden Nationalsozialismus. Seine Homosexualität wurde ihm zum Verhängnis. Unter fadenscheinigen Begründungen musste er 1931 Wälde-Winterbach verlassen. Der Kirchendienst kam für ihn nicht mehr in Frage. Karl Adolf Groß gründete einen Verlag in Berlin und brachte Schriften der Bekennenden Kirche heraus. In einer Solidaritätsaktion mit Martin Niemöller, dem persönlichen Gefangengenen des Führers und Mitglied der Bekennenden Kirche druckte Groß tausende Postkarten mit geistlichen Worten des berühmten Pfarrers aus Berlin-Dahlem. Diese Aktion brachte ihn ins KZ nach Sachsenhausen und Dachau. Sechs Jahre seines Lebens musste er für die Verbreitung theologischen Schriftgutes büßen.


Die Verheißung, die Gott der Gemeinde seines Sohnes gegeben hat, bindet und zum Glauben und zum Bekennen (Martin Niemöller 9.8.1936)


Am Kreuz Christi stürmen immer wieder die Zweifel und Anfechtungen auf uns los (Martin Niemöller 10.4.1936)


Sprüche wie dieser wurden von der nationalsozialistischen Zensur als politische Stellungnahme angesehen und verboten. In mir lösen solche Worte heute das Gefühl aus: Jawoll, richtig verstanden. Wer schweigt, argumentiert ebenso politisch und lässt die Mächtigen gewähren. Die Auswirkungen des Evangeliums sind hochpolitisch. Wer das verkannt, hat das Evangelium nicht verstanden. Reduktion auf die Privatsphäre ist nicht angebracht. Die Nazis früher und heute sind Spaßbremsen. Das wusste auch Karl Adolf Groß.“ Die Kraftquellen seines Überlebenskampfes drücken sich in Bibelworten, Gedichten und Liedversen aus“, schreibt der Herausgeber des Buches Wolfgang Schöllkopf in seinem Nachwort (S.223).  Aber auch sein Humor hat ihn gerettet. Es ist das Osterlachen, das den Tod verlacht. Groß stellt seinen Aufzeichnungen bewusst ein Ostervers des großen Liederdichters Paul Gerhardt voran:


Die Welt ist mir ein Lachen

mit ihrem großen Zorn.

Was will sie mir noch machen?

Ihr´Arbeit ist verlorn.

Die Trübsal trübt mir nicht

mein Herz und Angesicht.


Groß reagiert mit einer ungeheuren Sprachsensibilität auf die technokratische Menschenverachtung der Nazis lässt sich diese Sensibilität auch in der KZ-Hölle nicht nehmen. Groß hat die Hölle erlebt, aber er weiß auch, dass es einen gibt, der die Hölle überwunden hat. Das schildert er in einer nie frömmelnden Sprache. Es ist schön, zu sehen, dass er in seine Armada des Widerstandes gegen die Demütigungen auch den himmlischen Helden und Erzengel Michael hineinnimmt. In beeindruckenden Beispielen lässt er aufblitzen, wie Menschen zum Bösen, aber auch zu Gutem fähig sind.


Heute ist Aschermittwoch. Zeit, über die Vergänglichkeit nachzudenken. Aber auch über das, was Vergänglichkeit überwindet. Im Vorgriff auf Ostern und seinem Lachen über die Mächtigen. Karl Adolf Groß ist 1955 an den Spätfolgen seiner Internierung im KZ verstorben. An seinem Todestag (16.2.) wurde ein Gottesdienst in der Dachauer Versöhnungskapelle gefeiert. Ich freue mich, dass mein Nachfolger in Wälde-Winterbach (seit der Fusionierung Bavendorf-Winterbach) an den Kollegen Groß und Unbekannten des Widerstandes mit einer Gedenktafel erinnern und ihn damit dem Vergessen entheben möchte.

 

Literatur:

Karl Adolf Groß, Zweitausend Tage Dachau. Berichte und Tagebücher des Häftlings Nr. 16921. Gekürzte Fassung der Originalausgabe von 1946,  o.J. , (Hrsg. Wolfgang Schöllkopf),  Molino-Verlag Schwäbisch Hall



 

 
 
 

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