Halbfertig stand sie seit einem Jahr im Medienkeller. Wartete und hoffte auf Vollendung. Lange tat sich nichts, sie wartete und wartete. Immerhin, das Gebirge war aufwändig gestaltet, die Gleise lagen in ihrem Bett. Das war es dann auch schon. Nun harrte sie der Dinge, die da kommen. Anders als noch vor 60 Jahren ging das aber nicht von Zauberhand. Damals geheimnisste unser Vater im Heizungskeller. Der Raum war abgeschlossen, niemand hatte Zugang. Erst am Heiligabend öffnete sich das Orakel. Ein Kindertraum: die erste HO Märklin-Eisenbahn. Selbst gestaltet mit Tunnel, Gebirge, Brücken und Bahnhof. Nun bin ich dran. Mein Credo: ressourcenschonendes Arbeiten. Weitgehend die alten Gleise und Weichen verbauen. Der Trafo ist ein Museumsstück aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Der tut noch. Käbelchen, Bananensteckerchen, Schalt- und Stellpulte und jede Menge Kabel.
Ganz so ging es mit der Kostenneutralität nicht auf. Denn vieles funktionierte nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. Kippschalter, die schon tausendmal gekippt wurden, sind irgendwann mal durch. Okay, ein wenig musste schon investiert werden. Aber es hielt sich in Grenzen. Wenig Schnickschnack, kein Kleinklein, spärliche Deko. Beleuchtung gibt es heutzutage Strom sparend mit LED, spezielles Anrührpulver für Oberflächengestaltung. Sonst bleibt alles weitgehend beim Alten. Keine hochkomplexen Prozesse, Aber die Anlage macht sich nicht von selbst. Im Internet werden vor Weihnachten perfekte fertige Anlagen ausgeschrieben. Die müsste ich dann aus Buxtehude abholen. Diesen Plan habe ich aus sehr praktischen und finanziellen Gründen verworfen. Ende November fasste ich den Entschluss: ich versuche die Vollendung der Marke Eigenbau. Es war wie ein umgelegter Schalter: Die entsprechende winterliche und adventliche Stimmung stellte sich ein und so ging es ans Schrauben und Bohren, Verkabeln und Anrühren. Das meiste fand mit der Verdrahtung unter der Anlage statt, einschließlich entsprechender Verrenkungen, die ich nicht mehr gewohnt bin. Als bekennender Grobmotoriker durfte ich eine feinmechanische Seite an mir kennenlernen. Eine schöne Entdeckung. Und elektrische Schaltpläne? Zum Glück gibt es Tools, die einem das wunderbar erklären, welches Käbelchen in welches Steckerchen an welcher Buchse angebracht werden muss, damit es läuft und leuchtet und mit typischem Weichensound klackt. Und auch das gute alte Radio (SWR Kultur) trägt dazu bei, dass der Spaß nicht auf der Strecke bleibt.
Warum das Ganze? Es ist der Spaß an der Kreativität, am Entstehungsprozess und letztendlich der herbeigesehnte Produktstolz, wenn es dann mal funktioniert. Wie die Loks ihre Wägen im Kreis herumtransportieren und mit dem typischen Märklinsound über die Gleise rattern, so transportiert eine solche Anlage Emotionen. Aber nicht erst das fertige Produkt, auch und gerade der Entstehungsprozess, wenn ich unter der Anlage zeitvergessen herumturne und mich freue, wenn irgendwo wieder ein Lichtlein angeht. Bei einer HO-Anlage gibt es nach oben keine Grenzen. Perfektionismus strebe ich nicht an. Ich schaue mir gerne die Großanlagen in Hamburg (ein Traum!) oder im lokalen Umfeld an und bewundere die Komplexität. Dann lasse ich mir von wirklichen Feinmechanikern erklären, wie eine digitale Anlage funktioniert. Ich brauche das nicht, aber was ich brauche: emotionale Zugänge zu positiven Kindheitserinnerungen. Die bekomme ich durch „meine“ Anlage in Fülle. Und wenn sie dann auch bei meinen Liebsten Emotionen auslöst, ist das immerhin ein kleiner Beitrag zur Freude. Ist doch auch schon was in diesen bewegten Zeiten.
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