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Echo des Himmels! Heiliges Herz!

Friedrich Hölderlin zum 250.Geburtstag.

Eine Betrachtung zum Sonntag Kantate am 10.5.2020.


https://youtu.be/8g5v2zS-4YA

Vor 250 Jahren, am 20.3.1770, wurde Friedrich Hölderlin geboren. Hölderlin war zeit seines Lebens ein religiöser Poet. Religion, so sagt er, ist das erste und letzte Bedürfnis der Menschen. Religion war für ihn gleichzeitig wunder Punkt und Kraftzentrum.

Wir wollen uns heute diesem ungewöhnlichen Dichter zuwenden. Hier im Park des ZfP Südwürttemberg/Weissenau. Umgegeben von Natur. Von Wachstum und von Vogelstimmen. Ich bin überzeugt, Hölderlin hat uns gerade heute etwas zu sagen. Wir wollen ihn sprechen lassen. Ganz im Sinne des Sonntags Kantate hat Friedrich Hölderlin neue Hymnen gedichtet, Dank- und Loblieder, mit eigener Sprachgestalt und Sprachgewalt.

„Kantate!“ Singet! So werden wir ermutigt. Das Thema des Sonntags Kantate ist dem Psalm 98,1 entnommen. „Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder“.


Wir begrüßen den Tag mit einem Morgengesang aus dem Jahr 1799:


Morgenphantasie

Vom Taue glänzt der Rasen; beweglicher

Eilt schon die wache Quelle; die Buche neigt

Ihr schwankes Haupt und im Geblätter

Rauscht es und schimmert; und um die grauen

Gewölke streifen rötliche Flammen dort,

Verkündende, sie wallen geräuschlos auf;

Wie Fluten am Gestade, wogen

Höher und höher die Wandelbaren.

Komm nun, o komm, und eile mir nicht zu schnell,

Du goldner Tag, zum Gipfel des Himmels fort!

Denn offner fliegt, vertrauter dir mein

Auge, du Freudiger! zu, solang du

In deiner Schöne jugendlich blickst und noch

Zu herrlich nicht, zu stolz mir geworden bist;

Du möchtest immer eilen, könnt ich,

Göttlicher Wandrer, mit dir! - doch lächelst

Des frohen Übermütigen du, dass er

Dir gleichen möchte; segne mir lieber dann

Mein sterblich Tun und heitre wieder

Gütiger! heute den stillen Pfad mir.


Warum Friedrich Hölderlin? Vier Zugänge von meiner Seite.


1. Mir geht es so in den momentanen existenziellen Bedrohungszeiten. Ich spüre Elemente des medialen Überdrusses. Mir hilft da nicht die Sportschau. Ich brauche eine Ressource, z.B. in der Dichtung, die mich zwar nicht ewig tröstet, aber die mir das Gefühl gibt, ich bin damit nicht allein. In dieser Hinsicht gibt es bei Hölderlin vieles, Bekanntes und auch Fremdes, zu entdecken.


2. Hölderlin war ein äußerst sensibler und verletzlicher Zeitgenosse. Er hat Erfahrungen mit der Psychiatrie. Fast ein halbes Jahr lang wurde er zwangsweise einer akuten Behandlung unterzogen, mit damals grauenvollen Methoden. Danach nahm ihn ein freundlicher Schreiner und seine Familie in seine Obhut. Die erste dokumentierte Familienpflege.

Manche lehnen ihn prinzipiell ab, halten ihn für verrückt, andere vergöttern oder instrumentalisieren ihn. In allem erwacht in mir ein Reflex, mich schützend vor ihn zu stellen.


3. Hölderlin hat sich gegen eine verzweckte, geknebelte, verdrehte Religion gewandt.


4. Hölderlin hat in meiner Heimatstadt Tübingen Theologie studiert und mehr als 40 Jahre in Tübingen verbracht. 36 Jahre davon in einem Turm am Neckar, dem Hölderlinturm.


Hölderlins Hymnen und Oden haben die Zeit überdauert. Sein wohl bekannteste und am meisten analysierte Gedicht stammt von 1803.


Hälfte des Lebens


Mit gelben Birnen hänget

Und voll mit wilden Rosen

Das Land in den See,

Ihr holden Schwäne,

Und trunken von Küssen

Tunkt ihr das Haupt

Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm ich, wenn

Es Winter ist, die Blumen, und wo

Den Sonnenschein,

Und Schatten der Erde?

Die Mauern stehn

Sprachlos und kalt, im Winde

Klirren die Fahnen.


In dem geheimnisvollen Gedicht „Hälfte des Lebens“ klingt es an: Hölderlin entzieht sich jeglicher Einordnung. Sperrig, fremd, verstörend, begeisternd, imposant, sakral, hoch schwingend, kryptisch, verschlüsselt, schwankend zwischen Hoffnung und Weltflucht, um nur einige wenige Charaktereigenschaften zu benennen, die ich aus der Beschäftigung mit diesem Dichter notiert habe.


Als Kind des württembergischen Pietismus hat der Dichter keinen Augenblick seines Lebens an der Existenz des Heiligen, des höchsten Gottes gezweifelt. Das war die Basis seines Glaubens.

Aber gleichzeitig litt er unter der Enge der kirchlich-obrigkeitlichen Gestalt des Christentums seiner Zeit. Darum wollte er auch nicht Pfarrer werden. Hölderlins Geburt war schwierig. Seine überaus fromme Mutter hat geschworen, dass das Kind Pfarrer werden soll, wenn es überlebt. Mit aller Kraft entzog er sich dieser Vorbestimmung. Er fürchtete um seine Freiheit. Diese Freiheit suchte und fand sie in der Dichtkunst.

Sein Grundthema blieb Gott. Die Annäherung an Gott durch die Poesie. Seine Gedichte sind wie Gebete, wie Psalmen, religiöse Gesänge gefasst, Gebete zum Unverfügbaren.

„Himmlische sind und Menschen auf Erden beieinander die ganze Zeit“ schreibt er in seinem großartigen Christushymnus „Der Einzige“.


Er ging fest davon aus, dass die Religion zum Leben, zur Existenz, gehört. Sie ist für ihn die Kraftquelle. Aber gleichzeitig auch wunder Punkt. Die Entfaltung ihrer Kraft lässt, so wie er sie erfahren hat, zu wünschen übrig. Er strebte eine spirituelle Erneuerung an.

An der Hand der Poesie bricht er auf, den zu suchen, der allein im Äußersten einem verlorenen Einzelnen beizustehen vermag:


Noch Einen such ich, den / Ich liebe unter euch, / … / Des Hauses Kleinod.“ Des Hauses Kleinod, der Wertvollste, der Einzigartige: das ist Christus.


Von ihm spricht Hölderlin nun im Bekenntnis flehender Liebe: „…. denn zu sehr / O Christus häng ich an dir.“

Hölderlin schreibt ab 1801/02 an den drei großen Hymnen (Die Friedensfeier, Der Einzige, Patmos). Zum Teil in mehreren Fassungen überliefert, zeigen diese Hymnen das innere Ringen des Dichters um den lebendigen Christus. Seine Hymnen erinnern uns an die Psalmen des Ersten Testaments: helle und dunkle Lieder, fröhliche und traurige Gesänge. Und da sind wir wieder bei Kantate: „Singt Gott ein neues Lied!“

In drei Gesängen umkreist er den auferstandenen, lebendigen, gegenwärtigen Christus. Der lebendige Christus allein verfügt über die Macht, versöhnend an jenes Lager der Verzweiflung und des Todes zu treten, auf welchem der Dichter Hölderlin friert. „Denn noch lebt Christus“ (Patmos).

Hier erleben wir eine gewisse Rückkehr in die Naivität des kindlichen Glaubens seiner Kindheit des Pietismus. Die Götter Griechenlands bleiben an Hölderlins Seite als lebendige Gegenwart. Aber Christus tritt hinzu als Bruder des Kraftprotzen Herakles und als Bruder des Dionysos, dem Gott der Fruchtbarkeit und der Ekstase.

Für die Selbstentäußerung Christi findet Hölderlin eine neue Sprache. „Christus bescheidet sich selbst“. Er verzichtet auf alle Insignien irdischer Macht. Hier ist er ganz bei dem Philipperhymnus.


Philipper 2,5-11

Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: 6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, 7 sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. 8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. 9 Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, 10 dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, 11 und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.


.„ Ein Saktuch ziehet an der stille Gott der Zeit“ (Friedensfeier). Als messianischer Bettler gilt von ihm: „Christus aber ist / Das Ende.“ Gedeutet im Sinne von Vollendung der Welterlösung nach Johannes 19,30: „Es ist vollbracht.“

Für Hölderlin geschieht dies im Zeichen ekstatischer Freude. Über der klanglos gewordenen Welt wird von Nachtigall (dem Vogel der Gärten, der in der Nähe atmet) und Schneegans (dem Zugvogel der Fernen und Weiten) der „süße Ton der Heimat“ angestimmt, der Urklang, entsprungen der Sehnsucht Gottes nach der Welt.


Meiner verehrungswürdigen Großmutter zu ihrem 72. Geburtstag


Januar 1799


Vieles hast du erlebt, du teure Mutter! und ruhst nun Glücklich, von Fernen und Nah'n liebend beim Namen genannt, Mir auch herzlich geehrt in des Alters silberner Krone Unter den Kindern, die dir reifen und wachsen und blühn. Langes Leben hat dir die sanfte Seele gewonnen Und die Hoffnung, die dich freundlich in Leiden geführt. Denn zufrieden bist du und fromm, wie die Mutter, die einst den Besten der Menschen, den Freund unserer Erde, gebar. – Ach! sie wissen es nicht, wie der Hohe wandelt' im Volke, Und vergessen ist fast, was der Lebendige war. Wenige kennen ihn doch und oft erscheinet erheiternd Mitten in stürmischer Zeit ihnen das himmlische Bild. Allversöhnend und still mit den armen Sterblichen ging er, Dieser einzige Mann, göttlich im Geiste, dahin. Keines der Lebenden war aus seiner Seele geschlossen Und die Leiden der Welt trug er an liebender Brust. Mit dem Tode befreundet' er sich, im Namen der andern Ging er aus Schmerzen und Müh' siegend zum Vater zurück. Und du kennest ihn auch, du teure Mutter! und wandelst Glaubend und duldend und still ihm, dem Erhabenen, nach.

O ihr Lieben! und lange, wie du, o Mutter! zu leben Will ich lernen; es ist ruhig das Alter und fromm. Kommen will ich zu dir; dann segne den Enkel noch Einmal, Daß dir halte der Mann, was er, als Knabe, gelobt.


Original-Manuskript Friedrich Hölderlin Verse 21-34 (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Bildrechte: wikipedia)

Papst Franziskus, der Hölderlin zu seinen Lieblingsdichtern zählt, nannte das Gedicht an die Großmutter in einem Interview „von großer Schönheit, auch spirituell sehr schön.“ Es habe ihn gerührt, weil auch er seine Großmutter sehr geliebt habe. „Und da stellt Hölderlin seine Großmutter neben Maria, die Jesus geboren hat. Er ist für sie der Freund auf Erden, der niemanden als Fremden betrachtet hat.“ Aus Anlass des 80.Geburtstages von Papst Franziskus hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ihm eine Gesamtausgabe der Werke Hölderlins geschenkt.


An Zimmern


Das Gedicht „An Zimmern“ hat Hölderlin im Turm verfasst, am 19. April 1812. Hölderlin ist 42 Jahre alt und bereits seit 5 Jahren im Tübinger Turm am Neckar quasi in Familienpflege. Der Schreiner Ernst Zimmer, der Hölderlin betreut, schreibt an die Mutter des Dichters nach Nürtingen. Mein Lieblingsgedicht.


„Hochgeehriste Frau Kammerrathe!

Bey Ihren lieben Hölderle, ist eine sehr wichtige veränderung eingetretten <...>. Sein dichterischer Geist zeigt Sich noch immer thätig, so sah Er bey mir eine Zeichnung von einem Tempel Er sagte mir ich solte einen von Holz so machen, ich vesetze Ihm drauf daß ich um Brod arbeiten müßte, ich sey nicht so glüklich so in Philosofischer ruhe zu leben wie Er, gleich versetze Er, Ach ich bin doch ein armer Mensch, und in der nehmlichen Minute schrieb Er mir folgenden Vers mit Bleistift auf ein Brett

Die Linien des Lebens sind Verschieden

Wie Wege sind, und wie der Berge Gränzen.

Was Hir wir sind, kan dort ein Gott ergänzen

Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.

<...> In ansehung seiner verpflegung dürfen Sie ganz beruhig sein.

<...> Ihr gehorsamer Dinner Ernst Zimmer.“


Wir schließen unsere Betrachtung. Ich danke Susanne Droste-Gräff für die Rezitation der Texte.


Was gibt uns Friedrich Hölderlin mit?


Drei Dinge sind mir besonders wichtig:


1.„Alles ist in Gott“ – In dieser biblischen Aussage steckt für ihn eine große spirituelle Kraft, die er in der Natur findet und in der Lyrik, die den Menschen vor Entfremdung in einer durchrationalisierten Welt schützen soll. Die Poesie als Gottesdienst, mit großer Gestaltungskraft.


2.„Aufgabe des Dichters ist … anzusagen, was werden soll und werden kann auf dem verheißungsvollen Hintergrund von Gotteserfahrungen, die der Vergangenheit angehören. Im Gesang stimmt er den Dank für die Gaben des Himmels an.


Und 3.: „Der Gottesdienst soll heiter sein. Heiter „nicht gegen das Ernsthafte, sondern gegen das Dunkle und gegen Kräfte, die ins Dunkle ziehen und in die Nacht. Eine Heiterkeit, die tiefer ins Geheimnis Gottes hineinführt.


Der Tübinger Hölderlinturm (Bild: Schäfer)



Friedrich Hölderlins Grab auf dem Tübinger Stadtfriedhof (Bild: Schäfer)


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