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Als Gastprediger in Vaduz vor beeindruckender Kulisse


Die evangelisch-lutherische Kirche in Vaduz (Fürstentum Liechtenstein), in der ich am 10.11.2024 als Gastprediger einen Gottesdienst hielt. Für einen Moment hat das Nebelmeer die majestätischen Berge freigegeben.


Text: Micha 4,1-5 (Schwerter zu Pflugscharen, Spieße zu Sichelmessern)


Liebe Gemeinde,

Konflikte, die mit Waffen ausgetragen werden, sind leider und Gott sei es geklagt Realitäten für viele Menschen auf der ganzen Welt. Das war nicht anders in der Zeit, als die Texte der Bibel entstanden sind. Vielfach spiegeln sie diese bittere Wirklichkeit wider. Aber damals wie heute wollten sich die Menschen nicht mit ihr abfinden. Sie suchten immer wieder neue Wege zum Frieden. Neu ist sicher, dass sich die Erde wehrt gegen das, was ihr angetan wird. Überflutungen häufen sich und versetzten die Menschen in Angst und Schrecken. Viele denken an apokalyptische Zustände.

Haben wir als Menschen, die mit der Bibel zu leben versuchen und mit Ernst Christen sein wollen, den Bildern des Schreckens etwas entgegenzusetzen?

Mit unserem heutigen Predigttext wenden wir uns einem zentralen Hoffnungstext der hebräischen Bibel zu, der erst seit kurzem als offizieller Predigttext in die Perikopenordnung aufgenommen wurde. Ich bin froh, dass es diesen Text gibt.  Und dass er einen erhabenen Ort in unserem protestantischen Gottesdienstgeschehen erhalten hat.

Denn in diesem Text schlägt sich ein Traum vom Frieden nieder, der sich den Schreckensbildern dieser Tage trotzig entgegenstellt ohne sich in einer schwärmerischen Träumerei zu verlieren. Träumereien führen nicht weiter. Wir brauchen Visionen. Wir hören und sehen die große Vision eines kleinen Propheten.  Er schaut, wie am Ende der Tage die Nationen zum Gottesberg Zion nach Jerusalem strömen, wo ihnen dort Recht gesprochen und ihre Streitigkeiten geschlichtet werden. Das ist die Basis dafür, dass die zerstrittenen Menschen ihre Kriegswaffen in landwirtschaftliche Geräte umwandeln und sich auf Friedenserziehung konzentrieren.


Hören wir auf den Text: Micha 4,1-5


1Und es wird geschehen am Ende der Tage,

da wird der Berg des Hauses Gottes fest gegründet sein auf dem Gipfel der Berge,

und er wird sich erheben über die Hügel, und Völker werden zu ihm strömen,

2und viele Nationen werden hingehen und sagen:

Kommt und lasst uns hinaufziehen zum Berg Gottess, zum Haus des Gottes Jakobs,

damit er uns in seinen Wegen unterweist und wir auf seinen Pfaden gehen.

Denn vom Zion wird Tora ausgehen und das Wort Gottes von Jerusalem.

3Und er wird richten zwischen vielen Völkern

und mächtigen Nationen Recht sprechen, bis in die Ferne.

Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden

und ihre Speere zu Winzermessern.

Sie werden das Schwert nicht erheben, keine Nation gegen eine andere,

und das Kriegshandwerk werden sie nicht mehr lernen.

4Und jeder Mensch wird unter seinem Weinstock sitzen und unter seinem Feigenbaum,

ohne dass jemand aufschreckt – denn der Mund Gottes der himmlischen Heerscharen hat gesprochen! 5Denn alle Völker gehen, ein jedes, im Namen des eigenen Gottes,

wir aber, wir gehen im Namen unseres Gottes, für immer und ewig!

 

Der Kircheninnenraum aus dem Jahr 1954, ein Geschenk einer Stuttgarter Gemeinde.


4Und jeder Mensch wird unter seinem Weinstock sitzen und unter seinem Feigenbaum, ohne dass jemand aufschreckt.

Eine surrealistische Anmutung. Angesichts der realen Bilderwelten dieser Tage scheint es noch gegenläufiger, was hier aufscheint. Gegen den Strom und gegen den Augenschein wird die Welt hoffnungsvoll bebildert.

Wenn der Friede schon nicht real erfahrbar ist, wenigstens in einer Vision darf er aufblitzen. Eine Vision, die in allen, die noch nicht völlig abgestumpft sind, eine Ahnung davon entzündet, wie sich das Leben in umfassender Zufriedenheit realisieren lassen könnte. Mit ewigem Frieden.

Was passiert hier? In sprachlichen Bildern öffnet sich der Blick für die Perspektive des Un-Erwartbaren. Es ist eine messianische Perspektive, die das Un-Erwartbare verkörpert. Der Krieg vertritt die Logik des Stärkeren und sei es die stärkere Ordnungsmacht, die den Gewalttäter bezwingt. Der Ausstieg aus der Kriegslogik geschieht durch die Intervention Gottes, durch sein Zurechtbringen und die Gabe der Tora an alle Völker. Gott ist unsere Vertrauensmacht.

Um unsere Menschlichkeit zu bewahren und unsere Seele zu stärken und unsere Hoffnung zu nähren, müssen wir den Schreckensbildern starke Bilder entgegenstellen, die vom Gelingen erzählen.

Darum möchte ich heute der Kriegslogik die biblische Friedenslogik entgegenstellen und diesem grandiosen Text nicht weniger grandiose Text aus der Bibel zur Seite stellen.

Sie alle erweitern die Perspektiven und vertreten die Botschaft: Die Welt kann sich zum Guten wandeln. Hier Bewegung. Hier ist Wandel, und Wandlung. Eine Kraft, die in Bildern das Gute vorwegnimmt.

Wandlungsfähigkeit ist das Stichwort, unter dem wir auch unseren Glauben fassen. Und diese Wandlungsfähigkeit im Herzen beginnt bei keinem anderen als bei Gott selbst. Grundlage unseres Glaubens: Gott ist kein starrer Gott, sondern in seinem Herzen wandlungsfähig. Bei einem weiteren kleinen Propheten, in Hosea 11, finden wir einen Text, der den Wandlungsprozess Gottes überraschend menschlich schildert:

Nachdem ein gekränkter Gott seinem Volk in immer neuen Anläufen Abkehr, Missachtung der Gebote vorwirft, geht er in sich: (Hosea 11,8-9) Mein Herz wendet sich gegen mich, all mein Mitleid ist entbrannt. 9 Ich will nicht tun nach meinem grimmigen Zorn noch Ephraim wieder verderben. Denn ich bin Gott und nicht ein Mensch, heilig in deiner Mitte. Darum komme ich nicht im Zorn. 

Krieg entsteht, wo das Recht Angegriffener verletzt wird. Diese wehren sich und haben das Recht dazu. Doch leicht entsteht aus Gewalt und gerechtfertigter Gegengewalt eine Spirale, die sich von selbst weiterdreht. In der biblischen Darstellung ist auch Gott Teil dieser Spirale. Doch beim Propheten Hosea wird geschildert, wie im Herzen Gottes diese Gewaltspirale durchbrochen wird. Die Überwindung der Gewalt im Inneren Gottes ist die Grundlage aller Hoffnungen auf Frieden in der hebräischen Bibel.

Und noch einen zweiten Text aus dem Mund eines sogenannten kleinen Propheten möchte ich Micha zur Seite stellen. Die Motive ähneln sich, die Perspektive wird noch einmal erweitert.

Der messianische Friedenskönig Sacharja 9,9-10

9 Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. 10 Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde. 

Wohlvertraut sind uns Christen diese adventlichen Worte. Als ChristInnen deuten wir die Verheißung des messianischen Friedenskönigs auf Jesus Christus. Gleichzeitig müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass auch diese Vision durch Jesus Christus noch nicht zur Vollendung gekommen ist. Ein Blick auf die Weltlage zeigt uns das schmerzlich. Lösungen blitzen zwar wohltuend auf, für mich ist die gesamte Bergpredigt ein solches Aufblitzen, allen voran die Seligpreisungen. Aber noch leben wir in einer Art Zwischenraum. Und  alle beharrlich auf den verheißenen ewigen Frieden. Wirklicher Friede ist nur als weltweiter Friede möglich. Viele Imperien haben versucht, die von ihnen unterworfene Welt zu „befrieden“. Diese Art von Frieden beruhte auf Unterwerfung. In der Vision vom messianischen Friedenskönig ist dagegen die Vernichtung der Waffen die Voraussetzung seiner weltweiten Herrschaft.

Wir nehmen noch in unserem kleinen Durchgang durch alttestamentliche Friedenstexte eine poetische Reflexion hinzu. Ein schönes Beispiel ist 85. Psalm, den wir miteinander gebetet und besungen haben („Herr, der du vormals hast dein Land“) haben. Psalmen sind poetische Reflexe auf das, was sich in unserem Inneren abspielt. Aber die Psalmen bleiben nicht im Innerpsychischen stehen, wir finden in ihnen auch Resonanzen auf das Weltgeschehen. Hier wird ganz besonders die Versöhnung von Gerechtigkeit und Frieden in den Blick, ins Gebet genommen: 11 dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; 12 dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue; 13 dass uns auch der HERR Gutes tue und unser Land seine Frucht gebe; 14 dass Gerechtigkeit vor ihm her gehe und seinen Schritten folge. 

Friede ohne Gerechtigkeit ist Unterwerfung und Unterdrückung. Der Wunsch nach Frieden und der Wunsch nach Gerechtigkeit stehen deshalb oft in einer schier unauflösbaren Spannung zueinander. Psalm 85 erblickt die Versöhnung von Gerechtigkeit und Frieden; beide „küssen sich“, weil Gerechtigkeit von Gott her die Welt erfüllen wird. Ein zärtlicher Kuss ist das Bild, das für ein globales Geschehen zum Vorbild wird.

 

Vier Texte, aus denen heraus wir in ein Geschehen hineinblicken, das uns fern scheint, vielleicht ferner denn je. Ich bin fest überzeugt, dass uns die positiven Bilder und Visionen inspirieren und motivieren, die Hoffnung nicht zu verlieren. Denn nichts braucht die Welt mehr als den langen Atem der Hoffnung. Sie ist die wesentliche Kraft des Widerstandes gegen die Kräfte des Todes und der Zerstörung.

 

Wir kommen noch einmal zurück zu unserem Predigttext, von dem wir in unserer kleinen Reise durch weitere drei Basistexte der hebräischen Bibel ausgegangen sind. In einem fast surreal anmutenden Völkerzug setzt sich die Welt in Bewegung. Die Völker machen sich auf zum Zionsberg, dem neuen Sinai.

Ich höre die Einwände: Warum sollen sich alle Nationen dem einen Gott unterordnen und sich von ihm eines Besseren belehren lassen? In seinem Namen wurden doch auch Kriege geführt.

Weil es nur über eine große integrierende Kraft der Weg zum Frieden gelingen kann. Im Text heißt es sinnigerweise: ein jedes Volk geht im Namen seines eigenen Gottes. Der Gott der Schöpfung, der Gott des Lebens ist die Kraft, die das Geschehen koordiniert. Es geht um nicht weniger als um das Überleben der Menschheit!

Wir sind auf der Ebene der Vision: Micha hat diese künftige Bewegung schon vor Augen.

Zion wird wachsen. Er wird alle anderen Berge überragen. Das zieht dann alle Völker an. Zu ihm hin wollen sie. Und machen sich auf den Weg. Endlich hat der Streit ein Ende, der Streit, wer der Größte und Stärkste ist. Genau so beginnt der Friedensprozess. Gottes Wort und Weisung leitet sie. Sie hören – endlich! Alle! - auf das Doppelgebot der Liebe: Gott lieben und respektieren und den Nächsten lieben und respektieren. Wenn Gott „unter großen Völkern richten und viele Heiden in fernen Landen zurechtweisen“ wird, dann wird er sie genau nach diesem Recht richten. Dass sich kein Machthaber, keine Regierung mehr als Gott aufspielt, als Weltherrscher; vielmehr den Schöpfergott respektiert. Und dass sich kein Volk als Herr über ein anderes aufspielt. Vielmehr gestehen sich alle das gleiche Lebensrecht zu. Das wird Gottes Wort und Weisung richten.

Die Bilder, die für diesen eingeleiteten Wandel genutzt werden, zeugen von harter Arbeit, die Zeit braucht (Schwerter zu Pflugscharen, Spieße zu Sicheln). Das passiert nicht automatisch, dafür muss die Menschheit schon Zeit und Kraft investieren. Gott und Mensch brauchen Zeit. Lehrpersonen wissen, dass pädagogische Prozesse ewig dauern können. Aber dass die Menschheit lernfähig ist, das dürfen wir wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Um ihr Überleben zu sichern, bleibt ihr auch nichts anderes übrig. Der Begriff „in jenen Tagen“ bringt eine unscharfe Zeitdimension zum Ausdruck. „In jenen Tagen“ – die bewusste Unschärfe kann auch bedeuten: es ist hier, es ist heute. Es kann hier und jetzt geschehen.

Die Wirkungsgeschichte eines so kleinen Propheten ist bemerkenswert. Mit der Ankündigung umfassenden Friedens für die Nationen wirkt Micha und sein Paralleltext Jesaja 2 über die Bergpredigt Jesu in unsere christliche Verkündigung hinein. Im 20. Jahrhundert hat sie mit der friedlichen Revolution in der DDR Geschichte geschrieben. Die Aktualität des prophetischen Textes ist gerade im Zusammenhang mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 und der Eskalation des Terrors der Hamas gegen Israel im Oktober 2023, der Suche nach einer christlichen Positionierung und der Anknüpfung an die Friedensbewegung des vergangenen Jahrhunderts nicht von der Hand zu weisen.

Die Friedensverheißung erhält ihre Kraft aus dem Herzen Gottes. Die prophetischen Worte halten Diesseits und Jenseits zusammen und schützen damit das Friedenshandeln vor Vereinseitigung und Ideologisierung.

Der Friedenswille und die Friedensbefähigung ist uns ins Herz geschrieben. Das macht Jesus deutlich, wenn er in der Seligpreisung die Friedensstifter seligpreist.

Noch ein letzter Gedanke: Immer wieder werden die Abschnitte des Michabuches mit der Aufforderung gegliedert: Hört! Wie sieht also ein Hören aus, das zum Tun anregt? Jeder Wandlung geht ein Hören voraus, eine Schulung des Gehörs, eine Resonanz auf Gottes Ruf und schließlich ein dauerhaftes und vertrauensvolles Hören auf den, der vom Zion spricht.

Die Bilder, die uns Micha 4 und die anderen biblischen Gewährsträger malen, zeigen eindrücklich, wie Frieden gehen kann. Frieden erfordert jedoch viel Arbeit und einen langen Atem. Das darf man nicht vergessen. Er setzt auf Wandelbarkeit im Herzen, im Kopf und im Tun. Er macht Lust und erweckt die Sinne. Frieden ist Kraft und Poesie. Aber vor allem: langer Atem. Amen.



Die reichlich bebilderte Truhenorgel stammt aus Thurgau und wurde der Gemeinde ebenfalls unentgeltlich überlassen.

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