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Sylt-Video: Kommentar aus Brüssel



Man muss schon tief in die Empörungskiste greifen, um Worte zu finden für das, was das kurze, aggressive Sylt-Video in mir bewirkt hat. Ich arbeite zur Zeit in einer evangelischen Gemeinde als Auslandspfarrer in Brüssel. In Brüssel wird jetzt vor den Wahlen genau beobachtet, was in Deutschland vor sich geht. Die Parole „Ausländer raus“ wirkt hier in Belgien verstörend und beschädigt das Ansehen Deutschlands, nicht nur in Europa. Die Krah-Bystron-Affäre zieht Kreise. Die AfD zeigt ihr wahres Gesicht, sie hat in Europa verspielt, selbst unter den Rechten will man sie nicht mehr haben. Das müsste uns vor der Wahl zu Denken geben. Es bleibt zu hoffen, dass sich die zahlreichen Entgleisungen dieser zum Teil gesichtert rechtsextremistischen Partei auch im deutschen Wähler:innenverhalten niederschlägt: Die AfD ist für Europäer unwählbar! Sie will Europa zerstören. Destruktive Kräfte dürfen in Europa keine Zukunft haben. Wie sehr sich die rechten Parolen in der „normalen“ Bürgerlichkeit verfangen und es plötzlich salonfähig scheint, ihre Parolen nachzugrölen, wurde in diesem schrecklichen Video dokumentiert.


Zum Fremdschämen ist das, was im Sylter Edelschuppen Pony vor sich ging: Man möchte es gar nicht wiederholen. Rassistische Parolen als Partykracher, Gröler:innen in edelstem Tuch gewandet, Hitlergruß und Hitlerbärtchen in weißem Hemd, Gegrinse ins Smartphone. Meine erste Reaktion: Das kann doch nicht wahr sein. Ist der Hass auf Menschen mit Migrationsgeschichte jetzt in den Schickimickilokalen angekommen? Ich lese in den Kommentaren der Zeitungen, da ich mich von den meisten sogenannten sozialen Medien schon längst verabschiedet habe: „Wohlstandsverwahrlosung“ nennt Karin Prien, Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, das Geschehen vor dem Lokal mit Nordseeblick und untergehender Sonne, andere Kommentare sprechen von „Nobel-Nazis“.


Dass wir unseren Wohlstand Menschen aus dem Ausland zu verdanken haben, steht außer Frage. Ich vermute, dass keiner von diesen augenscheinlich Wohlstandsübersättigten unseren Dreck wegputzen, unsere Mühleimer leeren, unseren Pflegenotstand ausgleichen würde. Man kann einwenden: Die waren doch alle hackedicht. Die wussten doch nicht, was sie taten. Aber so besoffen kann man gar nicht sein, um ermessen zu können, was man mit grinsend skandierten Hassparolen bewirkt. Und das in den Tagen, an denen die Rechten unverblümt von Remigration sprechen. Und das alles in den Tagen, an denen wir den 75.Geburtstag unseres Grundgesetzes feiern. Wir loben die Formulierung: Die Würde des Menschen ist unantastbar.


Damit ich nicht selbst in die Versuchung komme, die Würde dieser komplett falsch abgebogenen Community anzutasten und den negativen Emotionen, die das Geschehen in mir auslöst, selbst auf den Leim zu gehen, ein Vorschlag zur Güte: Rückgängig machen lässt sich die unsägliche Verfehlung nicht mehr. Bislang habe ich noch kein Wort der Entschuldigung gehört. In Luft wird das Geschehen dadurch nicht aufgelöst. Ich fordere, dass wir gerade jetzt in den Sommermonaten noch mehr darauf achten, welche menschenverachtenden Parolen auf den Partymeilen, in den Bierzelten gegrölt wird und dass solche staatsfeindlichen Umtriebe verfolgt werden. Ich fordere, auch im Sinne des Ansehens Deutschlands im Ausland und im Sinne der vielen Menschen, die bei uns aus anderen Ländern wohnen, arbeiten, Steuer zahlen, dass es nicht zu Entwürdigungen kommt und wir mutig eingreifen. In Kampen auf Sylt war nichts dergleichen zu spüren.

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